Dem Fachkräftemangel entgegenwirken

Technik wird zur großen Chance

Von Michael Gneuss · 2023

Um die vielen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen zu können, brauchen wir gute Ingenieurinnen und Ingenieure und versierte IT-Fachleute. Doch der Arbeitsmarkt wird für diese Qualifikationen zusätzlich durch ein nachlassendes Interesse an technischen Berufen belastet. Das erschwert unter anderem auch das Vorankommen beim Klimaschutz, bei der Energiewende oder bei der Digitalisierung. Wirkungsvolle Strategien zum Gegensteuern sind jetzt gefragt.

Eine junge Frau steht in einem Fertigungsbetrieb
Frauen bieten sich in technischen Berufen große Chancen. Foto: iStock / gorodenkoff

Wir sind in der Multikrise: Energieknappheit, Klimawandel, Lieferengpässe, Rohstoffmangel, Inflation, geopolitische Spannungen und der demografische Wandel gefährden unseren Wohlstand. Viele dieser Probleme können wir mit guten Ideen mindern. Schließlich hat Deutschland mit seinen hoch qualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren schon oft technische Lösungen gefunden und darauf auch seine Exportstärke gegründet. Doch ob das künftig noch genauso gilt, erscheint fraglich. Denn deutsche Unternehmen finden ausgerechnet für die Berufe, auf denen einen großer Teil ihrer Erfolge basiert, nur schwer Nachwuchs. Zu wenig junge Menschen absolvieren ein Studium der Ingenieurwissenschaften oder der Informationstechnologien. Auch für die duale Ausbildung in technischen Berufen entscheiden sich bei Weitem nicht genug junge Frauen und Männer, um die bevorstehenden Abgänge der Babyboomer in den Ruhestand kompensieren zu können. Grundsätzlich gibt es inzwischen in Deutschland einen Arbeitskräftemangel in fast allen Berufen. Im zweiten Quartal 2022 wurden bundesweit 1,93 Millionen offene Stellen von Arbeitsagenturen verzeichnet. Das ist Rekord. Es dauert folglich für die Betriebe immer länger, bis sie eine frei gewordene Stelle wieder besetzen können. Im Juni lag dieser Wert laut Bundesagentur für Arbeit im Durchschnitt über alle Berufe hinweg bei 136 Tagen. Das sind mehr als doppelt so viele wie vor elf Jahren. 

Gefahr für die Industrie

Laut sind auch die Klagen aus der Industrie. Die Zahl der offenen Stellen ist inzwischen schon wieder höher als vor Corona. Auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieurinnen und Ingenieure wurden im zweiten Halbjahr 171.300 offene Stellen verzeichnet. Auch das ist Rekord. Im Vergleich zum Vorjahresquartal ist die Zahl um 46,2 Prozent gestiegen, erklärt der Verein Deutscher Ingenieure. Vor diesem Hintergrund wissen viele Unternehmen nicht, wie sie ihre Aufgaben bewältigen sollen – einschließlich des Klimaschutzes. Aber auch die Digitalisierung inklusive der Automatisierung hat hohe Bedeutung – vor allem um im Hinblick auf den demografischen Wandel unabhängiger von der knappen Ressource Mensch zu werden

Gerade Ingenieure für Energie- und Elektrotechnik sind aber schwer zu finden, insbesondere in Bayern. Dort kommen auf 462 Arbeitslose knapp 6.500 offene Stellen für diese Berufe. Verschärft wird der Mangel durch die immense Nachfrage nach Ingenieurdienstleistungen im Rahmen der Energiewende. Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) erwarten für die kommenden fünf Jahre 32 Prozent aller Unternehmen einen steigenden Bedarf an IT-Experten speziell zur Entwicklung klimafreundlicher Produkte. Bei den Unternehmen ab 250 Beschäftigten sind es sogar 63 Prozent. Werden die Probleme nicht gelöst, droht die Abwanderung eines Teils der deutschen Industrie in Länder, in denen die demografische Entwicklung noch positiv ist und in denen die Unternehmen qualifiziertes Personal finden können.

Dem Fachkräftemangel entgegenwirken – Kein Patentrezept

Doch zunächst gilt es, möglichst viele Menschen in Deutschland für technische Berufe zu begeistern oder Fachkräfte mit entsprechenden Qualifikationen aus dem Ausland anzulocken. Ein Patentrezept gibt es dabei aber nicht. Also bleibt nichts anderes übrig, als an allen Stellschrauben zu drehen. Sehr viel erhoffen sich Unternehmen davon, verstärkt Frauen anzusprechen. Denn hier ist das Potenzial groß. Unter den jungen Menschen, die ein Studium der Elektro- und Informationstechnik angefangen haben, lag der Frauenanteil 2020 lediglich bei 16,3 Prozent. In der Informatik waren es 22,9 Prozent. 

In der Sekundarstufe I können sich lediglich 8,3 Prozent der Mädchen vorstellen, später einen technischen Beruf zu ergreifen. Ein Argument, mit dem Unternehmen Frauen in technische Berufe ziehen wollen, ist wiederum der Klimaschutz. Denn der weibliche Nachwuchs ist oft sehr engagiert, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Die Aussicht, als Ingenieurin oder IT-Expertin tatsächlich etwas bewirken zu können, könnte den Ausschlag geben, hoffen viele Personalmanagerinnen und -manager. An den Ingenieurwissenschaften und der Informatik schwindet allerdings momentan das Interesse generell. Laut IW ist die Anzahl der Frauen und Männer, die ein Studium begonnen haben, in den vergangenen fünf Jahren um etwa 15 Prozent gesunken. Eine weitere Möglichkeit der Rekrutierung ist die Migration von Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie IT-Fachleuten aus dem Ausland. Auch das ist allerdings nicht einfach. Zunächst müssen Länder identifiziert werden, aus denen ausreichend qualifizierte Menschen bereit sind, nach Deutschland einzuwandern und auch hierzubleiben. Dabei muss aber bedacht werden, dass auch viele andere Länder mit ähnlichen Demografie-Problemen diese Zielgruppen im Visier haben. Deutsche Unternehmen sind also auch hier nicht konkurrenzlos.

Bessere Arbeitsbedingungen

Eine hohe Priorität haben daher in allen Betrieben das Employer Branding sowie vielfältige Maßnahmen, mit denen sie sich fit für den Wettbewerb um Talente machen – und zwar mit Blick auf möglichst viele Zielgruppen. Deswegen lautet der Titel dieser Publikation auch „Karriere 4.X“. Der Begriff steht für eine neue, diversere Arbeitswelt, in der das Berufsleben stärker von Frauen geprägt sein wird, aber auch insgesamt Chancen für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung, geboten werden. Diversity ist dabei aber nicht nur ein Instrument, um mehr Mitarbeitende rekrutieren zu können, sondern auch generell ein Erfolgsfaktor. Divers besetzte Teams, so die Erfahrung in vielen Unternehmen, treffen bessere Entscheidungen, weil oft mehr Argumente aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln abgewogen werden. 

Wichtig für Unternehmen ist aber auch, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine gute Work-Life-Balance zu bieten inklusive der Möglichkeit, viel Zeit im Homeoffice verbringen zu können. Gern gesehen bei Kandidaten sind auch Organisationen, die der „New Work“ entsprechen – zum Beispiel mit flachen Hierarchien und agilen Arbeitsmethoden. Wichtig ist schließlich auch, einen „Purpose“ für das Unternehmen definieren zu können. Talente wollen heute wissen, wofür sie arbeiten. Unternehmen, die einen Beitrag für den Klimaschutz leisten, haben dabei schon einmal einen Pluspunkt.

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