Technische Fachkräfte

Fachkräfte händeringend gesucht

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2023

Digitaler Wandel und ökologische Transformation sollen die deutsche Gesellschaft in den kommenden Jahren innovativ und nachhaltig aufstellen. Doch um diese Herausforderungen zu meistern, brauchen Unternehmen, Politik und Bildungseinrichtungen hoch qualifizierte und spezialisierte Fachkräfte. Gerade die fehlen aber allerorten.

Hände suchen mit einer Lupe nach geeignetem Personal
Gerade in den MINT-Berufen sind Fachkräfte immer schwerer zu finden. Foto: iStock / takasuu

Der Fachkräftemangel in IT-Berufen hat im vergangenen Jahr bundesweit ein neues Rekordniveau erreicht. Einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge gab es bundesweit im Schnitt 67.924 offene Stellen im Bereich der Informationstechnik. Besonders groß ist laut der Studie der Mangel an Expertinnen und Experten mit einem Hochschulabschluss. Hier fehlten im vergangenen Jahr fast 34.000 Fachkräfte. Und die IT-Branche ist nicht allein mit dem Fachkräfteproblem. In allen MINT-Bereichen – also neben der Informatik auch in der Mathematik, den Naturwissenschaften und der Technik – fehlten im vergangenen Jahr laut IW etwa 320.000 Fachkräfte. Die Lücke wird sich kurz- bis mittelfristig auch nicht durch Studienabsolventinnen und -absolventen schließen lassen, ist die Zahl der Studierenden in den MINT-Fächern doch in den ersten Hochschulsemestern in den vergangenen Jahren rückläufig. Nach Überzeugung der IW-Expertinnen und -Experten sei sogar mit einem weiteren Rückgang derjenigen, die ein entsprechendes Studium abschließen, zu rechnen. So fiel die Zahl der Frauen und Männer, die sich für ein Studium in einem der MINT-Fächer entscheiden, dem Statistischen Bundesamt zufolge in nur einem Jahr um sechs Prozent.

Befeuert wird der Mangel an Fachkräften nicht nur durch den demografischen Wandel und die Tatsache, dass derzeit viele Ingenieurinnen und Ingenieure sowie andere technische Spezialistinnen und Spezialisten in Rente gehen, sondern auch durch eine steigende Nachfrage nach IT-Fachkräften und Mitarbeitenden aus den Ingenieurwissenschaften sowie den technischen Berufen in vielen Wirtschaftsbranchen. Für die Energiewende und die Digitalisierung braucht es schließlich jede Menge Kräfte mit einschlägig technischem Profil, die sich des Wandels der Gesellschaft annehmen, Innovationen entwickeln und die neuen Technologien installieren. „Der Innovationsdruck ist hoch, technische Fachkräfte werden darum dringend gebraucht“, sagt Axel Plünnecke, Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration am Institut der deutschen Wirtschaft. Die Frage ist, ob Deutschland über ausreichend Fachkräfte verfügt. „Wenn das nicht der Fall ist, dann geht die Wettbewerbsfähigkeit ein Stück verloren. Oder Unternehmen müssen  sich auch stärker in andere Regionen verlagern“, befürchtet Plünnecke. Die Abwanderung ins Ausland soll ja verhindert werden.

Bremsklotz Fachkräftemangel

So klagen denn auch heute schon mehr als 42 Prozent der deutschen Unternehmen, der Mangel an geeignetem Fachpersonal wirke als einer der größten Bremsklötze für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, hat die KfW im aktuellen Fachkräftebarometer für das erste Halbjahr dieses Jahres ermittelt. Betroffen sind Unternehmen aller Größenordnungen. Gaben der KfW gegenüber 44 Prozent der großen Unternehmen und 41,3 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen an, besonders stark unter dem Fachkräftemangel zu leiden, so gaben gegenüber dem ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung gut ein Drittel der Digital- und KI-Start-ups an, offene Positionen nicht besetzen zu können. Dabei waren Stellen aus allen Feldern betroffen, nicht nur spezialisierte KI- und IT-Jobs, sondern auch Positionen abseits davon. „Deutschland verfügt über eine ausgeprägte Start-up-Kultur im Bereich KI. Jedoch würde das Wachstum der Branche wesentlich höher ausfallen, wenn die Unternehmen ihre freien Positionen besetzen könnten“, ordnet Christian Rammer, ZEW-Ökonom im Bereich Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik, die Kernergebnisse ein.

Arbeitsutensilien für ein Bau-Projekt
Viele Ingenieurinnen und Ingenieure werden in den kommenden Jahren die Arbeit niederlegen und in Rente gehen. Foto: iStock / AmnajKhetsamtip

Gesamtgesellschaftliches Problem

Das Problem des Fachkräftemangels in den IT- und Technikberufen beschäftigt aber nicht nur die Unternehmen aus der Digitalwirtschaft und dem Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien. Mit der Digitalisierung sind alle Branchen beschäftigt. Erhebliche Anstrengungen in der Transformation leisten beispielsweise die Autoindustrie, die Energiewirtschaft und der Gesundheitssektor. Auch im öffentlichen Dienst erfordert die Modernisierung der Verwaltung einen massiven Aufbau an Personal mit IT-Fähigkeiten. Der Trend zur Industrie 4.0 verleiht dem Bedarf an IT-Qualifikationen im gesamten Sektor des verarbeitenden Gewerbes Schub. Die Baubranche klagt über fehlende Bauelektriker, die Energiewende treibt den Bedarf für Fachkräfte der Heizungs- und Klimatechnik.

Gäbe es ausreichende Kapazitäten an Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie an IT-Kräften, könnten diese mehr als bisher durch Digitalisierung und Automatisierung zur Entlastung des Fachkräftemangels in anderen Berufen beitragen. Denn auch im sozialen Bereich – in der Sozialarbeit oder der Pflege – werden händeringend Leute gesucht. Unterm Strich klaffte dem IW zufolge im vergangenen Jahr eine Fachkräftelücke von 630.000 offenen Stellen in Deutschland, für die es keine passend qualifizierten Arbeitslosen gab. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) wurde im vergangenen Jahr in 200 von 1.200 bewerteten Berufen ein Engpass registriert – und damit in 52 mehr als im Vorjahr. Und die Situation wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen: Der Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge gab es im ersten Quartal 2023 bundesweit 1,75 Millionen offene Stellen. „Bis 2035 verliert Deutschland durch den demografischen Wandel sieben Millionen Arbeitskräfte und damit ein Siebtel des Arbeitsmarkts“, sagte IAB-Forscher Enzo Weber. „Die Schrumpfung lässt sich aufhalten, wenn alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um Ältere im Job zu halten, die berufliche Entwicklung von Frauen zu stärken, Zuwandernde anzuziehen und zu integrieren, Arbeitslosigkeit weiter abzubauen und die Geburtenrate zu erhöhen“, betont IAB-Forscher Weber.

Auswege aus der Fachkräftekrise

Für Unternehmen, die kurzfristig neues Personal für die IT und ihren technischen Bereich suchen, ist das zunächst ein schwacher Hoffnungsschimmer. Vielfach fühlen sich ihre Personalabteilungen im immer schärfer werdenden Wettbewerb um qualifiziertes IT-Personal überfordert. Ein Ausweg ist die Beauftragung von Personaldienstleistern. Doch auch für diese wird der Job immer schwieriger. Ihre Erfolge lassen sich die spezialisierten Profis denn auch etwas kosten. Diesen Preis zu zahlen ist für Unternehmen aber in der Regel das geringere Übel. Denn: Die Stellen für Fach- und Führungskräfte nicht zu besetzen ist meist noch teurer. Zu Umsatzverlusten können sich nämlich Qualitätsprobleme in der Produktion und im Service gesellen. Die Innovationsfähigkeit leidet, wenn auch Jobs in der Forschung und Entwicklung nicht mehr besetzt werden. Studien gehen davon aus, dass eine nicht besetzte Position schnell mehr als 100.000 Euro im Jahr kosten kann.

Je schwieriger das Recruiting der begehrten Fachkräfte ist, umso wichtiger wird die Bindung des Personals an das Unternehmen. IT-Profis sind schnell wieder weg, wenn sie sich im Unternehmen nicht wohlfühlen, keine Entwicklungsperspektive für sich sehen oder mit ihrer Work-Life-Balance nicht zufrieden sind. Arbeitgeber müssen sich daher auf die jeweiligen Bedürfnisse der Neuzugänge einstellen, wenn sie nicht bald wieder suchen wollen. Die Arbeit im Homeoffice kann daher kaum noch verwehrt werden. Mit den Methoden von New Work müssen sich Unternehmen vertraut machen. Weiterbildungen sind ebenfalls ein wichtiger Faktor. Denn gerade im Bereich IT veraltet das Wissen schnell. IT-Kräfte achten darauf, bei ihrem Arbeitgeber auf dem neuesten Stand in ihrem Bereich bleiben zu können. Employer Branding ist daher gerade auch für Unternehmen, die auf gute IT-Fachkräfte sowie Ingenieurinnen und Ingenieure angewiesen sind, ein besonders wichtiger Faktor.

Letztlich hängt die Zukunft des Standorts Deutschland maßgeblich davon ab, in welcher Qualität und Quantität die hiesige Wirtschaft für Expertise in den technischen Disziplinen sorgen kann. Die wichtigen Perspektivfelder Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Gesundheit hängen allesamt von Innovationen ab, die oftmals IT-getrieben sind. Da der Standort Deutschland noch nie mit niedrigen Löhnen punkten konnte, ist traditionell die hohe Qualifikation der Ingenieurinnen und Ingenieure ein gewichtiger Rechtfertigungsgrund für Ansiedlungen oder Standortbekenntnisse. Wenn dieses Know-how nicht mehr ausreichend vorhanden ist, sieht es düster zwischen Bayern und Schleswig-Holstein oder Brandenburg und NRW aus – zumal allgemeine Kostennachteile in deutschen Landen immer deutlicher zutage treten.

In erster Linie müssen Unternehmen selbst Auswege aus dem Dilemma finden. Aber auch die Politik steht in der Pflicht, das Ihrige zu tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. So sieht es auch Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB): „Die Bundesregierung muss strukturelle Probleme abräumen und die hausgemachten Ursachen des Fachkräftemangels beseitigen“, verlangt sie. „Wir brauchen bessere Aus- und Weiterbildung, mehr Qualifizierung und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen.“

Grafik: Anzahl der offenen Stellen in Ingenieurberufen in Deutschland nach Branchen
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